Text: Anna Gomeringer
Fotos: DAV Expedkader
Beim Bergsteigen stellt man sich ja eigentlich immer die gleichen Fragen. Wie schwer ist das? Wie weit ist es noch? Kann ich das? Hält das wirklich? Besonders der letzten Frage sind wir in unserer ersten Kadermaßname im schönen Allgäu ganz genau auf den Grund gegangen.
Am Montagmorgen treffen wir uns im Edelrid Hauptquartier in Isny und bekommen erstmal einen kleinen Überblick, was die Tage so passieren soll und wer oder besser was Edelrid als Unternehmen eigentlich ist. Zuerst theoretisch und dann praktisch, mit einer Führung durch die Produktion, vor allem der Seile.
Wir hätten vermutlich alle nicht gedacht, dass es so viele Arbeitsschritte braucht, damit ein Seil entsteht. Zumindest in meinem Kopf hat eine Maschine wie eine Strickliesel irgendwelche langen Garne zu Seilen gestrickt. Wir lernen aber, dass Seile nicht gestrickt oder gewoben, sondern geflochten werden (verwechseln das aber weiterhin konsequent). Und es wird auch nicht einfach ein Faden benutzt. Stattdessen werden z.B. Polyamidfasern zu zweit oder zu dritt locker zu großen Schläuchen gestrickt (sie werden wirklich erstmal gestrickt) und dann in einem sogenannten Autoklav (ein großer Backofen) geschrumpft, damit sie sich nachher besser unter dynamischen Lasten dehnen und auch wieder zusammenziehen können. O Ton Daniel: wie bei einer Dauerwelle.
Wir sind fasziniert, bleiben bei jedem Arbeitsschritt stehen, dürfen alles anfassen und Daniel erklärt uns mit Begeisterung, warum sich diese Spule in diese Richtung dreht, oder diese Kernfaser jene Farbe hat. Wir machen Abstecher in die Hardwareentwicklung, bekommen Einblicke in Bereiche wie die Seilzugangstechnik und die Qualitätssicherung. Wusstet ihr, dass jeder Meter Seil, durch eine Hand läuft, die kontrolliert, dass auch wirklich alles in Ordnung ist? Natürlich wussten wir auch vorher, dass unser Material hält, aber jetzt wissen wir auch warum und können ein bisschen erahnen, was für ein riesiger Aufwand dahintersteckt, damit auch wirklich jeder Karabiner und jedes Seil das hält, was es soll.
Danach geht es mit rauchenden Köpfen erstmal zum Mittagessen und gestärkt weiter in den sogenannten Spielraum. Hier gibt es zwei Anlagen, mit denen man einen Reifen und verschieden große Sandsäcke Richtung Boden stürzen lassen kann. Wir fangen also an das Sichern zu üben. Aber nicht, wie draußen am Fels, wo das immer mit einem großen Sicherheitspuffer passieren muss. Wir fragen uns stattdessen z. B.: Hält das eigentlich, wenn ich in die erste Exe nach dem Stand Falle, dort aber nur ein Halbseil geklippt habe? Kurze Antwort: eher nicht.
Wir verbessern allerdings auch unser Können beim Sichern und Testen, mit welcher Sicherungsmethode man die kürzesten und weichsten Stürze sichern kann und wie viel Last bei welchem Sturz eigentlich auf die Umlenkung kommt. Ab jetzt müssen wir uns zumindest nicht mehr fragen, ob unsere Sicherungspartnerin einen Sturz halten kann.
Abends beherbergen uns dann Dörte und Daniel in ihrem alten Fachwerkhaus und bieten uns so ein wirklich gemütliches Basecamp. Wir schauen gemeinsam Olympia und verbreiten ein mittleres Chaos beim Kochen, bevor wir uns in wirklich extravaganten Schlafplätzen zur Nacht herrichten. Denn zwei von uns schlafen im Portaledge, das aus dem Küchenfenster hängt und eine darf in einem Bett schlafen, in dem wenige Tage zuvor Tommy Caldwell übernachtet hat! Da klettert man am nächsten Tag gleich einen Grad besser.
Morgens geht es in aller Frühe zum Rottachberg, um die kühlen Morgenstunden auszunutzen. Wir probieren gleich mal das gelernte vom Vortag aus und hohlen uns den ein oder andern Pump an dem ungewohnten Konglomerat. Dann geht ans Eingemachte und wir lernen, wie man Ropesolo in Mehrseillängen schwere Seillängen ausbouldern kann. Zuerst gruseln wir uns ein bisschen, aber dann baumeln wir überall am Fels an den pinken Seilen und versuchen uns möglichst viele Züge einzuprägen und uns mit der neuen Sicherungsmethode anzufreunden. Zum Abschluss versuchen wir die Touren noch durchzusteigen und fahren dann ziemlich platt wieder in Richtung Edelrid, denn wir müssen noch den sogenannten Elternabend vorbereiten.
Während Dörte und Raphaela den Vortrag zum Laufen bringen, verbreiten wir dieses Mal Chaos in der Küche bei Edelrid. Als alle Eltern versammelt sind, sind wir nicht annähernd fertig, aber zum Glück schnappt Daniel sich den ganzen Pulk und macht wie mit uns eine Führung durch die Seilproduktion. Danach gibt es eine kurze Vorstellungsrunde, bei der wir alle hoffen, dass sich unsere Eltern auch benehmen (was sie tun :P) und dann geht es zum Essen auf die Dachterrasse. Es wird geschlemmt, geschwatzt und es ist richtig spannend, die Familien der anderen Mädels genauer kennen zu lernen.
Am Mittwoch treffen wir uns nach einer nicht allzu langen Nacht in Kempten mit Maxi, dem Bundestrainer Sportklettern und zwar schon um halb acht, da wir alle zusammen die olympische Leadquali der Männer schauen wollen. Zuerst gibt es einen kurzen Input zum Leadklettern und wir lernen, dass Klettern vor allem heißt Energie zu sparen. Dann wärmen wir uns auf und bekommen Inputs zu unserer Klettertechnik. Dann eine kurze Unterbrechung für das Frühstück und die Leadquali, die so spannend ist, dass wir danach erstmal unsere Hände trocknen müssen.
Den Mittag verbringen wir mit Movement challenges, wie Maxi sie nennt und Dörte zeigt, dass sie auch einen Run-In elegant statisch lösen kann. Und wer zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgelastet ist, kommt spätestens bei der Schnellkletterchallenge auf ihre Kosten, bei der wir lernen, wie wichtig es ist, konsequent und effizient zu klettern, um besser Routen zu onsighten. Das Abendessen gibt es dann in der Kletterhalle, zum Glück, denn die Arme zum Gemüse schnibbeln zu heben, wäre eine echte Herausforderung geworden. Abends kuscheln wir uns dann in Dörtes und Daniels Wohnzimmer, um die Boulderquali der Frauen zu schauen, über die zweifelhaften Kommentatoren zu diskutieren und den ereignisreichen Tag Revue passieren zu lassen. Mit der Erkenntnis, dass man mehr hält, wenn man schneller und entschlossener klettert.
Den letzten Tag verwenden wir noch einmal darauf verschiedene Sicherungssituationen auszuprobieren. Wir versuchen bei unterschiedlicher Reibung trotzdem weich und kurz zu sichern und sind erstaunt, wie hoch die Kräfte auf die Umlenkung sind, wenn man beim Fixpunktsichern schlecht sichert. Dabei sprengt Fenja mit ihrer Handkraft am HMS alle Werte, als sie einen Sturz produziert, bei dem 8,2kN auf die Umlenkung kommen. Ein bisschen schockiert sind wir, als ein altes Seil auf der Normsturzanlage schon beim zweiten Normsturz reißt, obwohl es eigentlich noch gut aussieht. Außerdem stellt sich heraus, dass wenn man im Vorstieg mit dem Tube vom Fixpunkt einen Quergang sichert, ein Sturz fast nicht haltbar ist, wenn kein Karabiner vor oder nach das Tube geschaltet wird.
Und plötzlich ist es auch schon wieder Nachmittag und wir müssen uns verabschieden. Unser allgemeines Fazit der Maßnahme: Fast alles hält mehr als man denkt, manches aber auch wesentlich weniger. Die Kunst ist, dazwischen zu unterscheiden.