Text von Jana Möhrer
Eine der imposantesten Linien, die man im Mont Blanc Gebiet zu Gesicht bekommt, ist ein langer, zackiger Fels- und Firngrat auf der italienischen Seite des Mont Blanc. Große Granitnadeln türmen sich nacheinander auf, ein ständiges Auf und Ab, welches immer wieder durch ausgesetzte Schneegrate durchsetzt wird.
Kaum zu glauben, dass 1953 Richard Hechtel und G. Kittelmann in nur 3 Tagen eine Möglichkeit gefunden hatten, diese vielen Türme zu überschreiten und den Peuterey Integral erst zu begehen. Noch unvorstellbarer ist der Zeitrekord von Uli Steck – er stand nach zirka zehn Stunden auf dem Gipfel Europas!
Letzte Woche war es endlich so weit: Relativ spontan entscheiden wir, das stabile Wetter zu nutzen und nach Chamonix zu fahren. Mehr oder weniger im Ausschlussverfahren einigen wir uns auf die gemeinsame Tour, packen recht minimalistisch und ziehen los. Wir planen den Grat in 3 Tagen zu klettern. Der erste Tag ist ein langer Granitklettertag, dabei folgt man einer relativ logischen Linie an der Südseite der Aiguille Noire. Auf dem Topo sind 47 Seillängen beschrieben, zusätzlich mehrere Abseilstellen und Gehpassagen. Die einzige Möglichkeit diesen Abschnitt in einer halbwegs vernünftigen Zeit zu klettern ist es, sich im leichteren Gelände gleichzeitig zu bewegen. So machen wir es und unser Plan geht auf, am Nachmittag des ersten Tages erreichen wir die Madonna auf dem Gipfel der Aiguille Noire und seilen direkt noch noch in den Breche des Dames Anglaises ab. Früher war diese Abseilpiste berühmt für schlechte Stände und seilfressende Schuppen. Mittlerweile ist die Abseilpiste gut eingerichtet und geht sich mit einem 60m Seil grade so aus. Bald schon haben wir einen wunderschönen Biwakplatz gefunden. Was für ein langer und schöner erster Tag!
Der kommende Tag hat es in sich, soviel schonmal vorne weg: Entlang des Grates suchen wir die leichteste Linie, klettern durch loses Geröll und spielen ein bisschen Jenga mit kühlschankgroßen Granitquadern... eher nicht mein Lieblingsspiel...
Das Queren durch mehrere Rinnen wird mir dann fast zum Verhängnis: Wir queren einzeln, ich klettere als zweites, Cléments Schreie warnen mich vor und ich versuche meine Hände und den restlichen Körper gleichzeitig unter meinen Helm zu verstecken. Fußballgroße Steine surren an meinen Ohren vorbei, ich versuche meine Angst zu kontrollieren. Sobald die – hoffentlich letzten – Brocken an mir vorbei gerauscht sind, kommt das OK zum Weiterklettern von Clément.
Ich bewege mich möglichst kontrolliert weiter, dabei schlackern mir die Knie und es ist mir mulmig zu mute, es haben mich Gott sei Dank nur ein paar größere Sandkörner erwischt.
Es wird mir wieder einmal bewusst, dass die Freude, sich in so schönem ausgesetztem Gelände zu bewegen meist mit objektiven Gefahren einhergeht. Meine Gedanken sind im August vor sechs Jahren, bei meinem ersten Versuch, diese Tour zu klettern. Damals war ich voller Zuversicht, ich wusste, dass der Grat schon gemacht wurde und war gefüllt mit Tatendrang. Vielleicht etwas übermotiviert – es war Mitte August und sehr warm. Fast vier Tage lang kämpften wir uns im Schneckentempo durch loses, gefährliches Gestein (das war dieses Jahr von bestem Firn bedeckt). Um uns dröhnten damals die Gletscherbrüche, der Heli war im Dauereinsatz in den Touren um uns herum und der Steinschlag ließ uns nachts nicht schlafen.
Foto von Clément Thiele.
Das erzähle ich hier nicht, um mich mit gefährlichen Momenten zu schmücken. Ich versuche diese möglichst durch gewissenhafte Tourenwahl und -planung zu minimieren. Ich bin davon überzeugt, dass wenn man Entscheidungen am Berg getroffen hat, welche sich im Nachhinein als Fehlentscheidungen herausstellen, man dann aber glücklicherweise glimpflich herauskommt, es gut und wichtig sein kann, diese Erfahrungen mit Gleichgesinnten zu teilen, damit möglichst viele daraus lernen können.
Aber zurück zur Tour...
Durch den von der Sonne durchweichten Schnee buddeln wir uns über ausgesetzte Grate zur Aguille Blanche. Nach dem Abseilen zum Col du Peuterey kriechen wir müde in meinen optimierten Schlafsack. Ich hab in den Firelight von Mountain Equipment ein Dreieck eingenäht, so können wir zu zweit in einem ultraleichten Schlafsack und einer halbierten Matte auf dem Gletscher biwakieren, tatsächlich ohne zu frieren. Gut wenn man gern mit seinem Seilpartner kuschelt :-)
Empfohlene Ausrüstung
Glücklicherweise ist die Nacht kalt genug, so können wir uns bei besten Bedingungen am dritten Tag auf den Mont Blanc hochpickeln. Die Sonne brennt und wir versuchen möglichst schnell unter den Gipfelwechten vorwärts zu kommen. Dann heißt es endlich: Ein letztes Mal noch über die Wechte hieven und schhwuppdiwupps fallen wir uns um 10 Uhr überglücklich in die Arme.
Der Abstieg zur Midi zieht sich, eine Nudelsuppenpause später laufen wir aber wieder rund(er) und nachmittags stoßen wir mit lieben Freunden, die wir zufällig auf derselben Tour getroffen haben, auf gelungene Tage an! Was für eine Abenteuerreise!